Was ist Montessori?

Diese Frage begegnet mir oft. Wenn ich darauf antworte, ertappe ich mich manchmal dabei, wie ich vor der Folie des Regelschulsystems beschreibe, was Montessori NICHT ist: Keine Noten, kein Frontalunterricht, keine Autoritätsausübung im herkömmlichen Sinne. Im Grunde kann man das auch anders machen. Es gibt nämlich einige Grundgedanken, die Maria Montessori beschrieben hat und die der Arbeit in Montessorikinderhäusern und -schulen zugrunde liegen:


Maria Montessori ging davon aus, dass jedes Kind einen geheimnisvollen, inneren Bauplan in sich trägt, den es aus eigener Kraft und in seinem individuellen Tempo entfaltet. Das zeigt sich bereits bei der Bewegungsentwicklung von Säuglingen. Der Zeitpunkt, zu dem sich Babys das erste Mal drehen oder das Sitzen und Krabbeln erlernen, ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Erwachsene haben darauf keinerlei Einfluss. Das Kind vollzieht den jeweiligen Entwicklungsschritt, wenn es eben so weit ist. Es folgt seinem inneren Bauplan.

Die Entfaltung des Bauplans vollzieht sich in sensiblen Phasen, in denen sich das Kind für bestimmte Dinge seiner Umgebung besonders interessiert. Seine Wahrnehmung ist dann wie ein Scheinwerfer gezielt auf diesen Ausschnitt der Umgebung gerichtet. Auch das zeigt sich schon bei Kleinkindern, die sich beispielsweise oft im Kindergarten oder Kinderhaus brennend für Buchstaben, Lesen und Schreiben interessieren. Das Lernfenster für den Schriftspracherwerb ist ggf. schon mit vier oder fünf Jahren geöffnet – nicht erst nach der Einschulung, wenn dieser Lerninhalt an Regelschulen „dran“ ist. Zu dem Zeitpunkt kann es sich sogar schon wieder geschlossen haben. Maria Montessori nannte die in den sensiblen Phasen beobachtbare, besondere Fähigkeit zur Fokussierung und Konzentration Polarisation der Aufmerksamkeit. Sie ist Ausgangspunkt und Ziel der Montessoripädagogik: Montessori nahm an, dass alle Kinder zu dieser besonderen Konzentration fähig sind. Gleichzeitig sollen Kinder in ihrer konzentrierten Aktivität gezielt gefördert werden.

Ein zentrales Instrument zur Umsetzung dieses Zieles ist eine sorgfältig vorbereitete Umgebung. Dabei handelt es sich um eine Lernumgebung, die genau auf den Entwicklungsstand und das Lerninteresse des Kindes abgestimmt ist. Sie sollte außerdem der Aktivität des Kindes angepasst sein, sodass es sich – ganz Herr seiner selbst – frei und selbständig darin bewegen kann. Das bedeutet ganz praktisch: Die Lernmaterialien müssen der Körpergröße der Kinder entsprechend, offen zugänglich sein. Oft werden dafür in Montessorischulen und -kinderhäusern Regale gewählt, in denen die Lernmaterialien nach dem Prinzip „weniger ist mehr“ angeordnet sind. Eine komplizierte Umgebung mit zu vielen Reizen würde die geistige Arbeit erschweren. Es geht um eine gute pädagogische Auswahl, um „geordnete Reize“. Dazu gehört auch, dass Dinge immer am selben Platz stehen. Eine (Foto-)Beschriftung an den Regalen kann den Kindern helfen, diese Ordnung selbst aufrechtzuerhalten.

Für die Lernmaterialien selbst forderte Maria Montessori strenge Kriterien: Sie sollen nicht nur entwicklungsgemäß sein, sondern auch die Sinne und den Bewegungsdrang des Kindes einbeziehen. „Wir geben dem Kind intellektuelles Material, mit dem es manuell arbeiten kann“, so Montessori. Denn es nütze nichts, dem Kind etwas zu übermitteln, es muss es selbst erleben. Auch hier gilt wieder das Prinzip „weniger ist mehr“: Jedes Material sollte nur einem Lernziel zugedacht sein, sodass das Kind einen Lern- bzw. Entwicklungsschritt nach dem anderen vollziehen kann. Dabei muss die Möglichkeit zur Wiederholung und Selbstkontrolle gegeben sein. Das Kind kann auf diese Weise so lange selbständig an dem Material arbeiten, bis es den Lerninhalt ganz verinnerlicht hat – und das aus eigener Kraft. Damit sich Kinder überhaupt mit einem Material beschäftigen, muss es zudem einfach und ästhetisch gestaltet sein sowie einen gewissen Aufforderungscharakter besitzen.

Pädagog_inn_en besorgen das Material bzw. stellen es her und bieten es dar. Während sich das Kind damit beschäftigt, ist jedoch beobachtende Zurückhaltung gefragt. Denn wenn es in die Konzentration gefunden hat, sollte es auf keinen Fall gestört werden. Die Rolle der Montessori-Pädagog_inn_en ist nicht die der überlegenen Erzieher, die lenken, korrigieren und ständig eingreifen. Die Haltung ist eine helfende, keine belehrende.

Claudia Schäfer beschreibt die Grundprinzipien der Montessoripädagogik in dem Buch „Kleinkinder fördern mit Maria Montessori“ sehr verständlich und kompakt. Ich habe für diesen Post bei ihr nachgelesen und kann euch dieses Buch wärmstens empfehlen.

Infos zum Buch: 
Claudia Schäfer
Kleinkinder fördern mit Maria Montessori
Herder Verlag, Freiburg
144 Seiten 
10,99 Euro


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