Übers (Nicht-)Bloggen und den Roman "Hier könnte ich zur Welt kommen"

Gerade stapeln sich die verlockendsten Bücher auf meinem Nachttisch: Romane (natürlich), Reportagen, Reiseführer. Die Anziehung dieses Stapels wirkt so stark auf mich, dass ich nicht anders kann, als ohne Pause eins nach dem anderen wegzulesen. Mit verheerenden Folgen für den Wortklauberinnen-Blog. Denn meistens entstehen die Blogposts, indem ich ein fertig gelesenes Buch ein paar Tage nachwirken lasse, bevor ich mit dem nächsten beginne. Ich denke immer mal wieder an das Gelesene, schiebe Gedanken im Kopf hin und her und schwups: Irgendwann ist da ein Text. Genau genommen habe ich deshalb mit dem Bloggen angefangen: In der medialen Reizüberflutung, der ich Tag für Tag ausgesetzt bin, möchte ich manche Lektüren ein wenig länger festhalten.

Dieses "Festhalten" und intensivere Auseinandersetzen tut gut. Aber es funktioniert nicht immer. Wenn viel los ist, schiebt sich in meinem Kopf anderes vor die gelesenen Geschichten: handfeste To Dos, Umbedingt-zu-Bedenkendes, im Alltag Erlebtes. Irgendwann ist der Text zum Buch dann überschrieben. Buchstabensalat. So war es zum Beispiel beim Roman Hier könnte ich zur Welt kommen von Marjorie Celona. Doch auch wenn ich euch keine ausführliche Einzelrezension dazu anbieten kann, will ich ihn euch ans Herz legen. 

Marjorie Celona: Hier könnte ich zur Welt kommen 

Copyright: Suhrkamp Verlag
Eine meiner Studienfreundinnen arbeitet als Buchhändlerin. Ich habe schon immer über ihr phänomenales Gedächtnis gestaunt und staune auch jetzt, wenn sie über die Neuerscheinungen von Verlagen spricht. Bei über 90.000 neuen Titeln pro Jahr kann wohl niemand den Überblick behalten. Aber ich vermute fast, dass meine Freundin in ihrem Segment (Belletristik Hardcover) den Überblick hat. Von ihr beraten oder gar mit Büchern beschenkt zu werden, ist ein großes Glück! Hier könnte ich zur Welt kommen habe ich ihr zu verdanken. Der Roman spielt auf Vancouver Island (nicht ganz zufällig meinem nächsten Reiseziel! :-)) und ist in der Tat eine großartige literarische Einstimmung auf den bevorstehenden Sommer. 

Der Titel der englischen Originalausgabe lautet Y, was ausgesprochen wird wie "Why" (Warum). Genau diese Frage treibt die siebzehnjährige Ich-Erzählerin Shannon an. Sie ist ein Findelkind und wurde am ersten Tag ihres Lebens vor einem Fitnesscenter ausgesetzt. Diese Szene erzählt Shannon zu Beginn des Romans selbst nach, und zwar aus der imaginierten Perspektive des Mannes, der ihre Mutter bei dem folgenschwersten Schritt ihres Lebens beobachtet hat. Shannon wird ihn im Laufe des Romans finden und kennenlernen, genauso wie ihre leiblichen Eltern. Den Weg dahin erzählt der Roman mittels einer kunstvollen Konstruktion: Abwechselnd werden zwei Geschichten dargeboten, die sich immer mehr ineinander verschlingen und irgendwann zusammenführen: Shannons Aufwachsen bei verschiedenen Pflegefamilien und das Leben ihrer Mutter. Was die Siebzehnjährige da bis ins letzte Details auserzählt, kann sie de Facto gar nicht so genau wissen. Aber das spielt keine Rolle. Denn Identität entsteht durch Konstruktion. Und in diesem Roman wird auf eindrucksvolle und einfühlsame Weise gezeigt, wie ein junges Mädchen seine  Lebensgeschichte selbst (er-)findet. Das zu lesen hat mir vor Rührung an manchen Stellen fast die Kehle zugeschnürt. Jede Figur dieses Romans hätte es mit ihrem Schicksal verdient, Hauptfigur eines eigenen Romans zu werden. Vielleicht spinnt die kanadische Debüt-Autorin Marjorie Celona ja den ein oder anderen Faden weiter? Auf ihr nächstes Buch freue ich mich auf jeden Fall schon jetzt!

Infos zum Buch: 
Marjorie Celona
Hier könnte ich zur Welt kommen 
Berlin, Insel Verlag
348 Seiten 
19,95 Euro
Leseprobe: hier klicken

Kommentare

  1. Besagte Buchhändlerin hält es für ein großes Glück, so wunderbare Leserinnen mit Büchern beschenken zu können und ihren Spaß daran zu teilen ... Danke für die tolle Rezension und die super Tipps, die hier immer wieder zu finden sind!

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  2. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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