Andreas Steinhöfel: Paul Vier und die Schröders
Vor kurzem habe ich ein Bücherset für eine 6. Klasse zusammengestellt. Großartige Unterstützung erhielt ich dabei von der Kinder- und Jungendbibliothekarin der Stadtbücherei Schwabing (herzlichen Dank noch einmal dafür!). Außerdem waren die Empfehlungen der Stiftung Lesen eine gute Orientierung im Dschungel der rund 8.000 jährlichen Neuerscheinungen im Kinder- und Jugendbuchbereich. Eines der ausgewählten Bücher, das mich besonders berührt hat, möchte ich euch heute am Blog vorstellen: Paul Vier und die Schröders von Andreas Steinhöfel.
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Copyright: Carlsen Verlag |
Paul ist der vierzehnjährige Sprössling einer Metzgersfamilie, die es über mehrere Generationen zu Wohlstand gebracht hat. Der manifestiert sich in einem großen Mercedes und einem Leben in der Ulmenstraße im kleinen Städtchen Bergwald. Da haben alle Leute teure Autos und die Damen treffen sich wöchentlich zum Kaffeekränzchen mit Käsetorte.
Das gleichförmige Leben in der Ulmenstraße ändert sich schlagartig, als eine neue Familie in das Haus der verstorbenen Schröderschwestern einzieht. Eine entfernte Verwandte, die keiner kennt, hat es geerbt und zieht in einer Nacht- und Nebelaktion mit ihren vier Kindern ein. Und schon geht das Chaos los: Eine zertrümmerte Fensterscheibe, ein toter Hamster, ein gebrochener Arm - wo die Schröders auftauchen, gibt es Ärger. Die Kinder haben so ungewöhnliche Namen wie Delphine, Erasmus oder Dandelion und so ungewöhnliche Haustiere wie eine Python-Schlange. Was ihre Mutter beruflich macht, weiß keiner in der Ulmenstraße so genau, aber allen ist klar: Wer seine Kinder so vernachlässigt, kann nur eine Rabenmutter sein. Von den Männerbesuchen ganz zu schweigen!
Der einzige, der das anders sieht, ist Paul. Er fühlt sich angezogen von Delphines schönen Augen, von Erasmus' Klugheit, von der Direktheit und Ehrlichkeit, mit der alle Schröders über sich selbst und die Welt sprechen. Warum seine Eltern - und auch die anderen Bewohner der Ulmenstraße - nichts von alledem wahrhaben wollen, ist ihm ein Rätsel. Doch so sehr er sich auch für die Schröders einsetzt, er kann das sich anbahnende Unheil nicht verhindern…
Was der Held in dieser Geschichte nach und nach realisiert, ist: Nicht alles, was dir Eltern / Erwachsene / Autoritäten (you name it) vorleben, ist richtig. Diese Erkenntnis kann ganz schön weh tun, denn damit gehen auch einige Sicherheiten flöten. Wie ein junger Vogel fällt er aus seinem Nest und ist erst mal auf sich allein gestellt. Jetzt muss er auf sein eigenes Gefühl hören und auf seinen gesunden Menschenverstand. Und der sagt Paul ganz deutlich: Was "die Leute" im Fall der Schröders sagen und tun, ist Unfug, ja geradezu gefährlich. Und als Leser ist man da ganz bei ihm. Denn durch die Ich-Perspektive beginnt man mit Paul, die Schröders behutsam kennenzulernen und immer besser zu verstehen. So machen wir im Lektüreprozess gleich mehrere Erfahrungen: Wer anders ist, hat es oft schwer in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Und es lohnt sich gerade da, genauer hinzuschauen und sich sein eigenes Bild zu machen. So wie Paul, der unter Steinhöfels teilhabendem Blick über sich selbst hinaus wächst und mit seinen 14 Jahren ganz schön viel vom Leben zu verstehen beginnt.
Das klingt in meiner Zusammenfassung reichlich didaktisch, fürchte ich. Schön an der Geschichte ist aber gerade, dass Steinhöfel (im Gegensatz zu mir) ganz ohne pädagogischen Zeigefinger auskommt. Auf 160 großzügig bedruckten Seiten entfaltet er einen Erzählkosmos, in den man spätestens nach dem ersten Kapitel versinken kann, um erst auf der letzten Seite wieder aufzutauchen.
Infos zum Buch:
Andreas Steinhöfel
Paul Vier und die Schröders
Carlsen Verlag, Hamburg
160 Seiten
5,99 Euro
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