Wolfgang Herrndorf: Tschick

"Tschick" von Wolfgang Herrndorf steht schon lange auf meiner Leseliste - ein Buch, von dem die unterschiedlichsten Leute in meiner Umgebung in den höchsten Tönen geschwärmt haben. Wochenlang war es nach seinem Erscheinen auf der Spiegel-Bestsellerliste, jetzt ist es auch als Taschenbuch erhältlich. Und auch darin geht die Schwärmerei weiter: Die ersten beiden Seiten sind prall gefüllt mit Zitaten des Who ist Who der deutschen Literaturkritik. Vom "Klassiker" ist da die Rede, von einem Buch, das rundum glücklich mache und gleichzeitig zu Tränen rühre, von einem Jugendroman, der schon jetzt genauso wichtig für die deutsche Literatur sei wie Koeppens "Tauben im Gras" oder Grass' "Blechtrommel". Bei so viel Lob werde ich oft skeptisch. Und ich sage es gleich vorweg: Mir hat "Tschick" zwar sehr gut gefallen, aber so restlos euphorisiert wie scheinbar alle anderen bin ich nicht. Ich frage mich, warum dieses Buch zum Bestseller wurde: Was löst diese kollektive Begeisterung quer durch alle Altersgruppen aus (und warum hat sie mich nicht erfasst?)?

Ich glaube, die wichtigste Zutat für einen Bestseller ist eine gute Geschichte. Das ist Herrndorf in "Tschick" auf jeden Fall schon mal gelungen: Zwei 14-jährige Außenseiter - jeder auf seine Art verwahrlost, dabei aber hinreißend komisch und auf Anhieb liebenswert - finden durch Zufall zueinander und brechen Hals über Kopf in einem geklauten Lada von Berlin in Richtung Südosten auf. Auf ihrem Roadtrip erleben Maik (der Ich-Erzähler) und Tschick (der Russe, Autoknacker, Hochbegabte) den schönsten Sommer ihres Lebens mit allem, was dazu gehört - von der Fahrt durchs Kornfeld (vorsicht Kitschgefahr!) bis zur zarten Liebesgeschichte, die skurilerweise auf einer Müllkippe ihren Anfang nimmt. Skurril sind auch die Begegnungen der zwei Jungs mit einem Kriegsveteranen aus dem 2. Weltkrieg, der als letzter ein Geisterdorf in der ostdeutschen Provinz bewohnt, oder mit der liebenswert durchgeknallten Sprachtherapeutin, die die beiden nach deren Autounfall findet und Tschick vor Schreck gleich noch ihren Feuerlöscher auf den Fuß plumpsen lässt (--> Beinbruch).

Die vielen sonderbaren Erlebnisse und kleinen Glücksmomente, die da beschrieben werden, sind tatsächlich mitreißend. Und ich glaube, das empfindet der jugendliche Leser aus bürgerlichem Hause ganz genauso wie die Literaturstudentin oder die 50-jährige Berufstätige. Denn dieses Lass-uns-einfach-abhauen-und-was-erleben-Gefühl kennt jeder. In mir zumindest lösen solche Geschichten ein angenehmes Kribbeln aus, eine unbestimme Abenteuerlust, ein gutes Gefühl. Bücher, die das schaffen, haben es eigentlich allein schon deshalb verdient, Bestseller zu werden.

Doch eine gute, mitreißende Geschichte allein genügt noch immer nicht ganz. Denn (auch) der Ton macht die Musik! Dieses Buch klingt nach Jugendslang, wirkt dabei aber niemals anbiedernd oder aufgesetzt. Im Gegenteil: Es kommt frisch und authentisch daher, fast wie gesprochen, mit viel Wortwitz und urkomischen Dialogen. Die kurzen Sätze lesen sich leicht und bezaubern immer wieder durch ihren Bilderreichtum. Zum Beispiel bei der Flucht aus dem Krankenhaus über ein frisch gepflügtes Acker, als Tschicks Krücken "wie heiße Nadeln in Butter" in der Erde versinken, sodass er wenig später ohne Krücken weiterhumpelt. Inhalt und Sprache entsprechen sich in diesem Buch aufs Schönste und so entsteht schnell ein "Drive" beim Lesen. Man fliegt nur so über die Seiten und es ist wirklich nicht leicht, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Solche Texte finden natürlich eine breitere Leserschaft als Texte im Schachtelstil a là Thomas Mann (obwohl Inhalt und Form hier nicht weniger gelungen ineinandergreifen).

Ich merke gerade, dass ich "Tschick" gerade auch in den Himmel lobe. Dabei habe ich doch geschrieben, dass sich meine Euphorie beim Lesen durchaus in Grenzen hielt. Wie geht das zusammen? Ich glaube, das Problem liegt gar nicht im Buch selber, sondern vielmehr in dem Medienhype, der darum gemacht wurde. Denn durch alles, was ich vorher gehört oder gelesen habe, sind meine Erwartungen fast ins Grenzenlose gestiegen. Nein, zu Tränen gerührt (wie Gustav Siebt ) war ich nicht, und ich sehe die Welt nun auch nicht mit anderen Augen (wie es im Rolling Stone angekündigt wurde). Das ist irgendwie enttäuschend, wenn man sich darauf eingestellt und gefreut hat (ich weine nämlich sehr, sehr gern beim Lesen :-).

Nichtsdestotrotz hat mir "Tschick" großen Spaß gemacht! Allen, die das Buch noch nicht kennen, empfehle ich aber, sich vor dem Lesen keine (weiteren) Rezensionen dazu anzusehen. Dann wird das Lesevergnügen wahrscheinlich wirklich überwältigend :-)

Infos zum Buch:
Wolfgang Herrndorf
Tschick
Berlin, Rowohlt
256 Seiten
8,99 Euro

Kommentare

  1. Hihi, beim Lesen weine ich auch sehr gerne. :-)
    ganz liebi grüäss, anja

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