Entdeckung der Langsamkeit - Im Münchner Haus der Kunst

Copyright: Fischer Verlage
Eine Zeitlang habe ich mich recht intensiv mit literarischen Texten auseinandergesetzt, die sich als Gegenpole zu unserer schnellen, von digitalen Bildern und Botschaften reizüberfluteten Gegenwart lesen lassen - zum Beispiel mit der Entdeckung der Langsamkeit von Sten Nadolny, aber auch mit weniger bekannten Texten wie Südlich von Abisko oder Der nächtliche Lehrer von Klaus Böldl. Ich finde es spannend, wie Entschleunigung hier literarisch inszeniert wird, sei es durch intertextuelle Bezüge ( z.B. auf das Werk Adalbert Stifters, der schon im 19. Jahrhundert ästhetische Gegenwelten zu einer immer schnelllebigeren Gegenwart entwarf), durch die Verlagerung des Erzählraums in die menschenverlassenen Regionen Skandinaviens (wo scheinbar eine intensivere Wahrnehmung der Dinge möglich ist als hierzulande - zumindest geht es den Protagonisten in Klaus Böldls Büchern so) oder durch bestimmte (reduktionistische, iterative oder andere) Erzählweisen. Ich mag diese Texte aber auch deshalb, weil sich die in ihnen erzeugte Ruhe und Konzentriertheit beim Lesen überträgt. Die Lektüre als Schärfung der eigenen Wahrnehmung, als Schule der Achtsamkeit - wunderbar, wenn Literatur so etwas schafft!

Dass die Betrachtung von Bildern eine ganz ähnliche Wirkung haben kann, habe ich gestern im Münchner Haus der Kunst realisiert. Ich war in einer Ausstellung des 1972 geborenen polnischen Malers Wilhelm Sasnal. In 3 Räumen sind da momentan verschiedenformatige Arbeiten aus den Jahren 2000 bis 2011 zu sehen - ganz aktuelle Gegenwartskunst also. Die Machart: Öl auf Leinwand. Wer sich dieser Technik heute noch bedient, muss sich zwangsläufig mit der Frage auseinandersetzen "Wozu heute noch Malerei?" Die Antwort war mir bei Sasnal intuitiv klar: Seine Malerei verleiht dem Gezeigten eine Bedeutung, die ihm in anderen Medien abgeht, und bringt den Betrachter (wie bei Böldl) auf erstaunliche Weise zum Innehalten.

Sasnal greift Motive auf, die man aus der Kunstgeschichte (z.B. von Seurat), aus Filmen (z.B. von Spielberg), Comics (z.B. von Spiegelmann) oder den Massenmedien (z.B. die im Internet verbreiteten Handyfotos von der Leiche Gadafis) kennt - grundsätzlich Bekanntes also. Doch im Vergleich zu den Ursprungsbildern sind die Farben verfremdet, reduziert auf wenige gedeckte Farbtöne, dabei meist klar und konzentriert (ein wenig wie bei Edward Hopper, finde ich). Auch die Bildelemente wurden in vielen Arbeiten reduziert auf wenige, zum Teil flächige oder schematisierte Elemente. Ein Prozess der Auswahl und Gewichtung hat hier stattgefunden: Sasnal hat das Karussell der zigmillionen Motive unserer multimedialen Bilderwelt angehalten, einzelne (politisch, gesellschaftlich, sozial, ökologisch bedeutsame) ausgewählt und ihnen im Akt des Malens Gewicht verliehen.

Nicht jedes Bild schafft jedoch auf Anhieb Klarheit - im Gegenteil. Bei näherer Betrachtung wirkt Sasnals Kunst oft befremdlich, unzugänglich irgendwie. Was stellt zum Beispiel ein Bild dar, das eine geometrische, in Erdtönen gehaltene Form im Vordergrund, dahinter einen riesigen weißen Farbklecks, der nach oben verläuft, und im Hintergrund eine mattblaue, zur Bildmitte hin heller werdende Farbfläche zeigt? Sasnal bietet dem Betrachter einen Zugang über den Bildtitel an. Das Bild heißt "Power Plant in Iran" - und schon wird die geometrische Form zu einem Gebäude (Kraftwerk), die weiße Farbe löst Assoziationen wie "Strahlung" aus. Ein größerer Interpretationsraum öffnet sich und ermöglicht auch ein kognitives Eintauchen in das Bild und seine Thematik.

Ich finde, es tut gut, solche Bilder zu betrachten, vor ihnen zu verweilen und sie wirken zu lassen. Sie schöpfen aus dem Inventar unserer quirligen, übervollen Gegenwart und strahlen doch eine solche Ruhe aus. Was für ein Kunststück!

Zur Website des Hauses der Kunst gehts hier.

Kommentare

Beliebte Posts