Nathalie küsst

Copyright: C.H.Beck
Der Plot in David Foenkinos' neuem Roman ist schnell erzählt: Nathalie lernt Francois kennen, die beiden heiraten und leben voller Liebesleichtigkeit dahin, bis Francois bei einem Unfall um's Leben kommt. Nathalie trauert um ihn, stürzt sich in die Arbeit und verliebt sich nach einigen Jahren neu. Ende gut, alles gut? Ja stimmt: Das klingt überhaupt nicht gut, sondern trivial. Solche Geschichten wurden quer über die Gattungen hinweg zigtausend Male erzählt. Wer heutzutage noch so ein Sujet wählt, ist in aller Regel Autor von Liebesschmonzetten in diesem Stil - oder ein besonders kluger Kopf. Letzteres ist bei Foenkinos der Fall.

Er scheint ganz genau zu wissen, was Leserinnen von einem Liebesroman erwarten: Sie wollen mitlieben und mitleiden, sie wollen gerührt werden und die Schmetterlinge im Bauch nicht weniger intensiv wie die Protagonisten selbst spüren. Kurzum: Je mehr Emotion, desto besser. Das gelingt in "Nathalie küsst" auf überwältigende Weise. Während und nach der Lektüre war ich regelrecht beflügelt (was mir bei anderen Romanen wie zum Beispiel diesem hier nicht passierte). Mir ging es ein wenig wie Anna Gavalda, die über das Buch sagte: "Dieses große kleine Buch macht Lust zu lieben, geliebt zu werden, sich in die Liebe zu stürzen und alles zu geben!" (Zitat auf dem Umschlag). 

Bild aus dem Kinofilm "Nathalie küsst"
Foenkinos schafft das, indem er etwas tut, das wir aus dem "echten" Leben kennen (und dort speziell aus der Liebe): Er spricht alle Sinne an. Wir schmecken regelrecht die schwere Süße des Aprikosensafts, den Nathalie bei ihrer ersten Begegnung mit Francois trinkt. Wir haben nach einem Essen mit Markus Musik im Kopf, die ein wenig nach Jacques Brel klingt (in Wirklichkeit ist es das Lied "L'amour en fuite" von Alain Souchon. Hier zu hören in einer Montage verschiedener Kussszenen aus Francois Truffauts Filmen). Wir denken an das eng umschlungene Paar auf Gustav Klimts Bild Der Kuss, als sich Nathalie und Markus zum ersten Mal küssen. Und wenn Kapitel 32 mit "Auszug aus dem Drehbuch zu Nathalie küsst" überschrieben ist, erscheint vor unserem inneren Auge natürlich sofort die reizende Audrey Tautou, die die Nathalie in der Kinoverfilmung spielt. Klar, dass damit wiederum "Die fabelhafte Welt der Amelie" assoziiert wird - inklusive der Stimmung, die der Film vermittelt, der wunderbaren Musik, der Farben…(*Amelie-like sind übrigens auch die vielen Fußnoten, Einschübe und Zusatzinfos mit kuriosem Wissen und der Blick für die kleinen Zufälle und Skurilitäten des Lebens)

Jedenfalls ist dieses Buch gespickt mit Anspielungen auf andere literarische Texte, auf Filme, Bilder und Musikstücke. Das Tolle daran ist, dass einem durch diese vielen intermedialen Verweise Erfahrungen ermöglicht werden, die im Medium der Literatur eigentlich nicht möglich sind: hören, sehen, riechen, schmecken. Als studierter Literaturwissenschaftler weiß das Foenkinos. Und mit diesem Wissen bietet er dem Leser/der Leserin ein wahres Feuerwerk der Emotionen, voller Feingefühl und Geschmack. 

Was man als Literaturwissenschaftler auch weiß: Wenn die Protagonisten eines Buches selbst Bücher lesen, wenn sie sich Gedanken über Literatur machen, wenn Texte von intermedialen und/oder intertextuellen Verweisen gespickt sind, ist das häufig ein Zeichen für "Selbstreferentialität". Das heißt: Oft gibt es dann eine zusätzliche Ebene, auf der sich der Text mit sich selbst, mit seiner Medialität und Machart beschäftigt. In "Nathalie küsst" ist das ganz eindeutig der Fall. Man muss sich diese Ebene beim Lesen nicht anschauen (man nimmt sie wahrscheinlich gar nicht wahr, wenn man nicht darauf achtet), kann es aber tun. Es ist ein Angebot, das der Text macht. Und es ist eine Antwort auf die Frage, was Romane - und insbesondere Liebesromane - eigentlich bewirken können. Ich verstehe Foenkinos' Antwort so: Wie die Liebe selbst kann uns auch eine Liebesgeschichte dazu bringen, über uns selbst hinauszuwachsen, alles einmal ganz anders zu denken und den Mut aufzubringen, für das eigene Glück zu kämpfen. Eben genau so, wie es Nathalie und Markus am Ende des Romans tun - wider alle Realisten und Glücksskeptiker.

Natürlich: Es handelt sich hier "nur" um eine Geschichte (deren Plot alles andere als neu ist). Aber diese Geschichte hat wahrlich das Zeug dazu, etwas in uns zu verändern!

Kostenlose Leseprobe: hier klicken

Infos zum Buch:
David Foenkinos
Nathalie küsst
München, C.H.Beck
239 Seiten
16,95 Euro

Kommentare

  1. Das tönt ziemlich begeisternd! Merke ich mir auf alle Fälle für weniger stürmische Zeiten... ;-) danke fürs Teilen! Ganz liebi grüäss, anja

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