Nachtrag zu meinem letzten "Tatort"

Kennt ihr das? Man schaut die ersten Minuten eines Krimis, versucht sich gerade in der Handlung zurechtzufinden und zieht erste Schlüsse - da plötzlich taucht eine vermeintliche Nebenfigur auf, deren Gesicht man kennt. Senta Berger als altes Dienstmädchen, das im Hintergrund Tee serviert. Sehr verdächtig! :-)
Ganz so deutlich war's im Münchner Tatort "Nie wieder frei sein" nicht, der am Pfingstsonntag in der ARD lief. Aber als die Kamera auf das Gesicht der Schauspielerin Lisa Wagner schwenkte, ging das schon in die Richtung. Sie hat damals in Shoppen mitgespielt, vielleicht auch in anderen Filmen, die ich irgendwann einmal gesehen habe. Jedenfalls ist dieses Gesicht bei mir in der Schublade "Deutsches Indie-Kino" abgespeichert. Und tatsächlich stellte sich Wagner als die heimliche Hauptfigur dieses unkonventionellen, durchaus empfehlenswerten Krimis heraus.

"Nie wieder frei sein" beginnt, wo andere Tatorte enden: Im Gerichtssaal. Verurteilt werden soll ein Vergewaltiger, gegen den Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) zuvor fieberhaft ermittelt hatten. Im Publikum sitzen seine Opfer und deren Angehörige, draußen wartet die Presse. Immer länger zieht sich die Verhandlung - gefühlt nimmt sie fast ein Drittel der Sendung ein. Das ist ungewöhnlich und nicht unbedingt das, was man von einem Tatort erwartet. Aber es wird bald spannend. Denn die Pflichtverteidigerin des Angeklagten Regina Zimmer (Lisa Wagner) hebelt die Beweisführung der Kommissare nach und nach mit dem kühlen Verstand einer ehrgeizigen Hochbegabten aus. Batic und Leitmayr reagieren wie gewohnt: aufbrausend, gereizt, sie machen Fehler und ziehen den Kürzeren. Der Vergewaltiger Rapp - von dessen Unschuld im Grunde niemand überzeugt ist - wird mangels Beweisen freigesprochen.

Und jetzt geht der Krimi so richtig los. Der Exfreund eines Opfers plakatiert die Straßen mit "Mörder-Plakaten" des Freigesprochenen, während dieser weiterhin sein letztes Opfer stalkt. Die Verteidigerin Rapps wird zusammengeprügelt, eine weitere Person stirbt. Batic und Leitmayr sind hundsmiserabel gelaunt und kommen grundsätzlich zu spät, um noch irgendetwas zu verhindern.

Dieser Tatort geht an die Nieren - nicht nur durch die vielen grausamen Szenen, die Verzweiflung der Angehörigen oder das Versagen der Justiz, sondern auch durch die Tragik, die Regisseur Christian Zübert jeder einzelnen Figur einschreibt. So handelt Regina Zimmer zum Beispiel im festen Vertrauen auf das Funktionieren der Gesetzgebung - und stürzt damit sich und andere nur noch weiter ins Verderben. Lisa Wagner verkörpert diese junge Anwältin als einsame Kämpferin, mit trübem Blick und scharfer Zunge. Es ist bewegend zu sehen, wie ihr Weltbild irgendwann ins Wanken gerät, doch zu dem Zeitpunkt ist es für ein Zurück längst zu spät…

"Nie wieder frei sein" ist nichts für zarte Gemüter, aber definitiv einer der guten Tatorte. Er ist noch bis voraussichtlich Samstag in der Mediathek der ARD verfügbar.

Infos zum Film:
Nie wieder frei sein
Regie: Christian Zübert
Darsteller: Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl, Lisa Wagner, Anna Maria Sturm u.a.
Deutschland, 2009/2010

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