Funkensonntag
Aber nach und nach nimmt die Geschichte an Fahrt auf und die Figuren werden plastisch. Gerhard Weinzirl ist Kriminalhauptkommissar bei der Kemptener Kripo. Er ist nicht ganz so markant wie sein Kollege Kluftinger, aber auch ein Allgäuer mit Haut und Haar: rechtschaffen und sparsam, manchmal schlecht gelaunt und "a bissle gschbässig", dabei aber grundsymphatisch. Das ist für mich das Besondere und Unterhaltsame an diesen Krimis: Etwas Immaterielles nimmt hier Gestalt an, das sich wie das Allgäuerische eigentlich so schwer fassen lässt: bestimmte Werte und Normen, eigentümliche Gewohnheiten, die viele Menschen dort teilen, Wörter für Eigenschaften, die es außerhalb der Region nicht zu geben scheint.
Je tiefer Gerhard und sein weiblicher Conterpart Jo jedoch in dem Funkensonntag-Mordfall stochern, desto mehr fördern sie auch die Kehrseiten der Allgäuer Voralpen-Idylle zu Tage. Da ist zum Beispiel Adi Feneberg, das Musterbeispiel eines angesehenen Allgäuer Mannes: absolut integer, verheiratet, seit seiner Ausbildung in Festanstellung bei Hündle Bräu und Trainer der Eishockey-Jugend in Kempten. Nach und nach zeigt sich, wie gefährlich diese Moral jedoch werden kann, wenn sie rigide wird. Dann finden Andersartige darin nämlich keinen Platz mehr. Und davon gibt es in diesem Krimi viele: homosexuelle CSU-Politiker, für die ein Comingout den beruflichen und gesellschaftlichen Ruin bedeuten würde; Jugendliche, von denen etwas Beunruhigendes ausgeht, weil sie nicht so recht ins System passen wollen; traumatisierte Bergführer, die das Bild des unerschütterlichen Sportlers nur mühevoll aufrechterhalten können. All das gibt es eben auch im Allgäu, nur redet keiner davon. Und deswegen finde ich Funkensonntag am Ende doch gelungen: So fiktiv die Geschichte sein mag, sie ist auf eine Art sehr wahr.
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Copyright: Goldmann |
Infos zum Buch:
Nicola Förg
Funkensonntag
München, Goldmann
282 Seiten
7,95 Euro
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