Sommer ohne Männer

Mich fasziniert die Art von Intelligenz, die nicht im Theoretischen verhaften bleibt, sondern sich mit all ihrem Scharfsinn (und Humor) auf die ganz praktischen Fragen des Lebens richtet: Beziehung, Ehe, Sex zum Beispiel. Siri Hustvedt hat diese praktische Intelligenz und stattet auch die Ich-Erzählerin ihres Romans Der Sommer ohne Männer damit aus. Mia ist Mitte 50, Dichterin und in der Krise. Nachdem ihr Mann sich nach 30 Ehejahren eine Pause (in Gestalt einer jungen Französin mit signifikantem Busen) genehmigt hat, flieht sie in die amerikanische Provinz zu ihrer über 90-jährigen Mutter. Der Roman erzählt von Mias Seelenqualen, ihrem schonungslosen Blick auf ihr bisheriges Leben und von ihrer schrittweisen Genesung. Die Begegnungen mit anderen (sehr jungen und sehr alten) Frauen in Bonden, die gemeinsamen Lektüren und das literarische Schreiben spielen dabei eine ganz entscheidende Rolle. Und so ist Der Sommer ohne Männer - wie könnte es anders sein? - auch eine Geschichte über die Literatur selbst. Was kann, soll, darf, ist Literatur? Darauf gibt der Roman viele Antworten. Eine gefällt mir dabei besonders:
"Wie Sie bemerkt haben werden, betrachten Mitglieder von Lesezirkeln Figuren in Büchern im Allgemeinen genauso wie Figuren außerhalb von Büchern. Die Tatsache, dass die Ersteren aus Buchstaben und die Letzteren aus Muskeln, Gewebe und Knochen gemacht sind, ist von geringer Bedeutung. Sie mögen denken, ich missbilligte das, ich, die ich die fortlaufenden Prozesse der Literaturtheorie ertragen, die linguistische Wendung genommen, den Tod des Autors miterlebt und irgendwie la fin de l'homme überlebt hatte, die ich ein hermeneutisches Leben gelebt, in Aporien gestarrt, über différence gerätselt und mir über sein im Gegensatz zu Sein Gedanken gemacht hatte (…), aber da würden Sie sich irren. Ein Buch ist eine Zusammenarbeit von demjenigen, der liest, und dem, was gelesen wird, und bestenfalls ist dieses Zusammentreffen eine Liebesgeschichte wie jede andere." (S. 248) 
Der Lektüreakt als intime Begegnung mit einem anderen Leben, als kraftvolle Inspiration mit Suchtpotenzial - Der Sommer ohne Männer jedenfalls löst diesen Anspruch auf wunderbare Weise ein. 

Infos zum Buch: 
Siri Hustvedt 
Sommer ohne Männer 
Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 
300 Seiten 
8,99 Euro

Kommentare

  1. Eine wundervoll geschriebene Rezension als Start in den Herbst - was will man mehr? ;-)
    Ganz ganz liebi grüäss, anja

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